Zerbrechliche Freundschaften
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Meine Stiefel prallen lautstark im schnellen Takt den metallischen Boden entlang. Mit Aufregung laufe ich aus der Sichtweite der Gegner. Ich habe kein eindeutiges Ziel aber mein Orientierungsgefühl führt mich schon dahin wo ich hin muss, weg von der Bedrohung, weg von der Gefahr. Mein Körper fühlt sich an als wäre er auf Autopilot geschaltet, ich blicke durch einen Tunnel. An meinem dritten Auge ziehen Bilder vorbei die einst mein Leben bedeuteten. Wir trafen uns das erste Mal als Teenager und verbrachten die meiste Zeit unseres Lebens auf dem Schlachtfeld. Die Stärke einer Freundschaft lässt sich daran messen wie weit man selbst bereit ist zu gehen, um dem Anderen beizustehen. Eine Einheit, ein Team, ein funktionierender Körper bestehend aus Mitgliedern die unterschiedliche Fähigkeiten an den Tisch bringen. Sich dem Partner in vielerlei Hinsicht zu unterscheiden aber dennoch dem gleichen Zweck zu dienen, wie der Plus- und Minuspol, wie die beiden Seiten einer Münze. Vielleicht habe ich deswegen immer die Kameradschaft bevorzugt und die Freundschaft verachtet. Heutzutage bedeutet dieser Begriff nichts mehr. Es reicht ein falsch ausgedrückter Post auf Social Media und schon geht man zum nächstbesten Freund, um darüber abzulästern. Nein, in meiner Welt gibt es keine Freundschaft, in meiner Welt existiert nur die Kameradschaft.
An meiner Waffe reflektieren die an der Wand installierten LED Leuchten, die im schnellen Rhythmus an mir vorbeiziehen. Obwohl die Last meiner Rüstung nach und nach spürbar schwerer wird, zieht mich ein weiterer Tagtraum in seinen Bann. Ein weiterer prägender Moment in meinem Leben war der Tag, an dem ich feststellte kein großes Talent für oberflächliche Freundschaften zu haben. Deswegen wurde ich auch von den meisten meiner Mitschüler ignoriert. Bis zu einem bestimmten Alter ging mir das sehr nahe, die Narben sitzen tief. Doch, das Einzige, das ich jetzt bereue, sind die falschen Freundschaften, die ich mir mein ganzes Leben vorgeheuchelt habe. Als mir dann Abi zugeteilt wurde, habe ich endlich meinen Gegenpart gefunden. Eine große Last fiel mir von den Schultern zu wissen, dass ich das Thema Freundschaft abhaken konnte. Diese Last war mir weit unangenehmer als die harten Kanten meiner Rüstung, die durch mein Nackengewebe bohren.
Mit dem sicheren Gefühl die gegnerische Truppe abgehängt zu haben, begebe ich mich keuchend in eine dunkle Ecke und hocke mich lehnend an die kalte metallische Wand. Ich öffne das Magazin, um nochmal nachzusehen. Zweiundzwanzig. Zwei Tränen platschen auf die Innenseite meines Visiers. Ich nehme den Helm ab, weil das Glas anschlägt. Jetzt bin ich wieder alleine. Nichts das sich ungewohnt anfühlt. Der Blick zurück in die Vergangenheit gleicht dem Blick hinunter in den Abgrund. Nur wenn du zu lange hinabsiehst, blickt der Abgrund irgendwann zurück. Ich wische die Tränen von meiner Wange, stecke das Magazin an und repetiere das Gewehr.
© Igö_Kednis 2022-06-30
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